WER SIE WAREN – WAS SIE WURDEN
Andre Agassi sorgte im Tennis von 1986 bis 2006 für Wirbel. Auf dem Court erlebte er ekstatische Höhenflüge und krasse Niederlagen. Fernab des Platzes unterhielt er Fans wie Kritiker massenhaft mit Skandalen. In den letzten Jahren ist es bedeutend ruhiger um den Mann geworden, der mit dem deutschen Fräuleinwunder Steffi Graf verheiratet ist und mit ihr zwei Kinder hat. Andres Vater Emmanuel «Mike» Agassi war ein iranischer Boxer armenisch-assyrischer Herkunft, der 1948 und 1952 an den Olympischen Spielen teilgenommen hatte.
Er brachte seinem Sohn sportlichen Ehrgeiz bei – und das, bevor Andre überhaupt sprechen konnte. Wie das Tennis-Ass in seiner 2009 erschienenen Biografie «Open» schildert, hatte das Mobile über seinem Kinderbett nur einen Zweck: die Schulung der Auge-Hand-Koordination.
Später trainierte «Mike» seinen Sohn, der am 29. April 1970 zur Welt gekommen war, auf Plätzen im heimischen Las Vegas. Der kleine Andre Agassi musste sich dabei manchmal wortwörtlich wie unter Beschuss gefühlt haben: 4000 Bälle in zwei Stunden liess sein Vater ihn parieren.
Obwohl Emmanuel «Mike» Agassi es am liebsten gesehen hätte, dass sein Sohn zu einer nichtdenkenden Tennis-Maschine heranwächst, war schon während Andre Agassis erster Profisaison 1986 klar: Dieser Typ ist ein Rebell. Von seiner hypermodernen Vokuhila-Frisur über die neonfarbenen Klamotten bis hin zu seiner leidenschaftlichen, fast schon besessenen Spielart passte der in Las Vegas geborene Sportler so gar nicht ins reinweisse Bild des damaligen Tennis.
AUF DEM PLATZ ZWISCHEN HÖHENFLUG UND KRISE
Zwanzig Jahre lang schlug Andre Agassi Bälle im Welttennis. Er hat dabei jeden Höhenflug und jede nur mögliche Niederlage erlebt. Was bleibt, sind 60 gewonnene Einzeltitel – darunter acht Grand-Slam-Siege –, einmal Olympisches Gold (1996) und drei Davis-Cup-Siege.
Unvergessen ist der Star aber vor allem wegen seiner rebellischen Art. So weigerte sich Andre Agassi beispielsweise zwischen 1988 und 1991, am legendären Turnier in Wimbledon teilzunehmen, weil er die dort herrschende starre Kleiderordnung nicht akzeptieren wollte. Nachdem er am 10. April 1995 das erste Mal an der Spitze der Tennisweltrangliste gestanden hatte, stürzte Agassi schon 1997 leistungstechnisch komplett ab. Die Folge: Platz 141 – und jede Menge private Skandale sorgten beinahe für das Aus dieses einzigartigen Spitzensportlers.
Dank eines Trainerwechsels und eines neuen, gesunden Lebensstils schaffte es Andre schon ab 1998, wieder auf die Beine zu kommen. Am Ende dieser Saison hatte er sich auf Platz 6 der Weltrangliste hochgekämpft. Aber auch seine medienwirksame Rivalität mit seinem Landsmann Pete Sampras (47) sorgte immer wieder für Skandale und Getuschel. Die beiden sind bis heute keine dicken Freunde und Agassi beschreibt seinen Rivalen in «Open» als «langweiligen Roboter» und «schlechten Trinkgeldgeber». In der Siegbilanz zieht Andre Agassi allerdings bis heute den Kürzeren: Er stand Zeit seiner Karriere 101 Wochen an der Spitze der Tennisweltrangliste, Pete Sampras dagegen satte 286 Wochen.
ANDRE AGASSI UND DIE FRAUEN
Dieser Titel könnte lauten: Vom eifersüchtigen Choleriker zum familienfreundlichen Heiligen? Als Andre Agassi 1998 sein Leben wieder in die Hand nahm, könnte eine weitere wichtige Entscheidung gefallen sein: die Trennung von Schauspielerin Brooke Shields. Die beiden führten von 1997 bis 1999 eine sehr turbulente Ehe, die Brooke in ihrer Biografie «There Was a Little Girl: The Real Story of Mother and Me» von 2014 als «Fehler» bezeichnete. Unter anderem schrieb sie, Andre Agassi sei rasend eifersüchtig und cholerisch gewesen. – Von Deeskalation hatten wohl beide wenig Ahnung.
Kaum zu glauben, wenn man heute weiss, dass der frühere Tennis-Rebell seit 2001 glücklich mit Steffi Graf verheiratet ist. Die beiden leben in Las Vegas und erziehen zwei Kinder gemeinsam: Jaden Gil (*2001) und Jaz Elle (*2003). Erst vor wenigen Monaten schwärmte Andre gegenüber der deutschen «Bild»-Zeitung von seiner Frau: «Ich hoffe nur, dass sie mich nicht verlässt! Ich wünsche jedes Jahr, dass sie bei mir bleibt und dass sie auch die nächsten 20 Jahre bei mir bleibt.»
Die Chancen stehen gut. Immerhin zeigt sich Steffi Graf, die am 14. Juni 2019 50 Jahre alt geworden ist, stets überglücklich mit ihrem Ehemann. 2012 sagte die 22-fache Grand-Slam-Gewinnerin gegenüber dem Frauenmagazin «Lisa»: «Ich habe das Glück, meine grosse Liebe gefunden zu haben.»
Das wohl spannendste Match seines Lebens trug Andre Agassi wahrscheinlich mit seiner Frisur aus. Wir erinnern uns: Er war der Spieler mit dem Vokuhila, den Stirnbändern, den wehenden Strähnen. Das Problem: Andre Agassi litt früh unter extremem Haarausfall. In «Open» berichtete er davon, wie er das Endspiel der French Open 1990 mit einem schlecht sitzenden Haarteil bestritt – und natürlich verlor: «Bei jedem Ausfallschritt, bei jedem Sprung stelle ich mir vor, wie es im Sand landet. Ich stelle mir vor, wie ein Aufschrei durch die Menge geht, wie Millionen von Zuschauern näher an den Fernseher heranrücken, und sich fragen: Sind Andre Agassi etwa die Haare vom Kopf gefallen?»
1994 rasierte sich Andre, damals noch auf Anraten seiner Frau Brooke, eine Glatze und konnte sich damit von seiner schlimmsten «Fessel» befreien, wie er heute sagt. Wer weiss? Vielleicht verlieh ihm sein wesentlich kühlerer Kopf 1995 dann auch zum Sieg bei den Australian Open.
WAS MACHT ANDRE AGASSI HEUTE?
Denkt Andre Agassi je darüber nach, wieder Teil des Profitenniszirkus zu werden? Nein, winkte er schon 2010 gegenüber «Welt Online» ab: «Das ist nicht mehr meine Welt, und dafür habe ich Tennis zu sehr gehasst. Die Matches waren eine Qual. Ich wollte sie so schnell wie möglich hinter mir haben. Ich habe eher Erleichterung gefühlt, als ich den letzten Punkt verloren habe. Ich schaue nach vorn, und allein der Gedanke an ein Comeback widerstrebt mir. Der Gedanke würde zu viel Energie kosten, die ich für andere Projekte brauche.»Andere Projekte? Dazu zählt natürlich in erster Linie Andre Agassis Familie. Aber der Weltstar hat inzwischen auch seine wohltätige Ader entdeckt und fördert Kinder in Amerika in grossem Stil.
2001 gründete er die Andre Agassi College Preparatory Academy in Las Vegas, eine kostenlose Schule für benachteiligte Kinder. Dort geht es nicht nur um Tennis, sondern vor allem um Bildung. Basketball, Volleyball, Baseball, Leichtathletik und Softball stehen ausserdem auf dem Programm.
Wenn Andre Agassi seine Schule besucht, gibt er den Schülern gerne etwas mit auf den Weg: «Hört nicht auf zu träumen, denn dafür seid ihr hier.»
Quelle Beitragsbild: ©Getty Images / Matthew Stockman
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