«Diesmal hatte ich Glück. Aber ich versuchte auch, es zu erzwingen», sagte Roger Federer an der Pressekonferenz, nachdem er an den US Open 2014 gegen Gaël Monfils zwei Matchbälle hatte abwehren können. Zum Matchverlauf meinte er: «Ich traf die Vorhand nicht richtig und beim Aufschlag forcierte ich entweder zu stark oder zu wenig. Aber je länger die Partie dauerte, desto besser wurde mein Spiel.» Diese Aussagen Federers zeigen eindrücklich, wie eine ideale Ursachenerklärung bei Champions aussieht. Er sucht die Gründe für den Erfolg bei sich selbst und bei kontrollierbaren Faktoren (eigener Aufschlag, eigene Vorhand).
Angesprochen auf einen Vergleich zu seiner Niederlage gegen Federer in Wimbledon 2014, sagte Stan Wawrinka nach seiner US-Open-Niederlage gegen Kei Nishikori: «Gegen Federer hatte ich alles gegeben, was ich an jenem Tag gehabt hatte. Doch er hatte die Lösung gefunden, mich zu schlagen. Er war einfach besser gewesen und ich nicht mehr frisch genug, um ihn in einem langen Match zu schlagen. Diesmal war es anders: Ich hatte viel zu viele Höhen und Tiefen. Das war kein komplettes Match von mir.» Gemäss der Theorie der Ursachenerklärung machte auch Wawrinka kontrollierbare und internale Gründe für sein Scheitern verantwortlich. Das ist im ersten Moment die schmerzvollere Variante, als die Gründe externen und unkontrollierbaren Faktoren zuzuschreiben. Trotzdem ist es der richtige Weg, denn nur so können motivierende Ziele für die Zukunft gesetzt werden.
AUF DEN NÄCHSTEN SCHRITT FOKUSSIEREN, NICHT AN DEN ÜBERNÄCHSTEN DENKEN
Auch Davis-Cup-Captain Severin Lüthi arbeitet mit seinen Athleten viel mit kurzfristigen und spezifischen Zielsetzungen. «Deshalb weigere ich mich als Teamchef auch, weit nach vorne zu blicken und über einen Gesamtsieg zu reden. Es ist besser, sich auf das Naheliegende zu konzentrieren, auf die nächste Aufgabe, den nächsten Sieg, den man holen will.» Vor dem Davis-Cup-Viertelfinale meinte Lüthi sogar: «Wir denken noch nicht an den Halbfinal. Denn wer an den übernächsten Schritt denkt, stolpert oft schon beim nächsten.» Diese Statements zeigen, dass auch Lüthi mit seinen Athleten an einer Denkweise arbeitet, die Ursachen für Erfolg und Misserfolg vorwiegend bei internalen und kontrollierbaren Faktoren sucht. Diese Denkweise wird in der neueren Literatur oft «Winning Mindset» genannt.
«WINNING MINDSET» ENTWICKELN
Um ein «Mindset» zu entwickeln, das sich auf die oben erwähnten inneren und kontrollierbaren Faktoren bezieht, sollten sich Tennisspieler Ziele setzen, die genau diesen Fokus haben. Idealerweise sollten die Ziele mehrheitlich als «Prozessziele» und weniger als «Ergebnisziele» definiert werden. Prozessziele fokussieren auf das Individuum und vergleichen dessen Leistung zu verschiedenen Zeitpunkten. Ein Beispiel für ein solches Ziel könnte sein: «Bis Ende Saison Verbesserung der Trefferquote um 10 Prozent» oder, bezogen auf das Verhalten im Match, «vor jedem Aufschlag tief durchatmen, den Entscheid treffen, ob ich auf die Rückhand- oder die Vorhandseite des Gegners aufschlage und gleichzeitig den Ball dreimal prellen». Mit einem solchen Ziel kann sich der Spieler an seinem eigenen Fortschritt messen. Die Zielsetzung ist kontrollierbar.
Ergebnisziele beziehen sich auf äussere Faktoren in Form eines Vergleichs mit anderen. Ein Beispiel für ein Ergebnisziel lautet: «Bis Ende Saison will ich in den Top Ten meines Jahrgangs stehen» oder «zwei Turniersiege bis Ende Jahr». Diese Zielsetzungen beziehen sich auf Ergebnisse und Vergleiche mit anderen, was bedeutet, dass sie schwierig zu steuern sind. Es ist zu empfehlen, mehrere Prozessziele zu setzen, um ein Ergebnisziel zu erreichen. So können beide Arten von Zielsetzungen motivierende und positive Auswirkungen auf einen Spieler haben.
RICHTIGE FRAGEN STELLEN
Folgende Fragen müssen die Kaderjunioren im Nationalen Leistungszentrum von Swiss Tennis in Biel zweimal jährlich beantworten und einer Gruppe präsentieren. Die Fragen helfen aber auch einem Hobbyspieler, sich über seine Ziele und die Ursachenerklärungen bewusst zu werden. Denn zur Entwicklung einer Siegermentalität ist es wichtig, dass internale und kontrollierbare Zielsetzungen und Ursachenerklärungen gefördert werden.
- Welches Ranking hatte ich vor sechs Monaten?
- Welches Ranking habe ich heute?
- Warum habe ich dieses Ranking erreicht?
- Welches ist mein Ranking-Ziel für die nächsten sechs Monate?
- Was sind meine technischen, taktischen, konditionellen und mentalen Ziele?
- Warum bin ich zuversichtlich, dass ich meine Ziele erreichen werde?
Im Nationalen Leistungszentrum wird der Vortrag auf Video aufgenommen und den Kaderjunioren gezeigt. Die Gruppe gibt dem Junior anschliessend ein Feedback zum Auftreten (Körpersprache, Rhetorik). Mithilfe des Videos und der Rückmeldung der Kollegen kann er die Ziele besser verinnerlichen und die Selbst- mit der Fremdwahrnehmung vergleichen, was ebenfalls ein wichtiger Aspekt im Aufbau eines stabilen Selbstvertrauens ist.
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