Die finale Krönung blieb zwar aus, aber Angelique Kerber hat sich trotzdem in die Herzen, nicht nur der deutschen, Tennisfans gespielt. Im WTA-Final von Singapur fehlten ihr nach einem beeindruckenden Jahr die Kräfte. Zwar war Kerber an diesem Abend nur die zweitbeste Spielerin gewesen und sah sich beim 3:6 / 4:6 gegen Dominika Cibulkova einem unnachgiebigen Trommelfeuer aus Angriffsschlägen gegenüber. Kurz vor Matchende hatte sie zudem gegenüber ihrem Trainer Torben Beltz die müden Beine beklagt. Doch gerade im letzten Spiel wehrte sich Kerber wieder mit der wilden und selbstbewussten Entschlossenheit, die sie in diesem Jahr auf den Tennisthron geführt hatte.
«Natürlich bin ich enttäuscht», sagte die 28-Jährige, «aber ich habe noch mal alles aus meinem Körper herausgeholt und wieder bis zum letzten Punkt gekämpft.» Es war nicht der finale Akt, den sich Kerber für ihr Jahr 2016 erhofft hatte. Ein Titel beim Jahresendturnier hätte ein letztes Ausrufezeichen hinter eine erstaunliche Saison gesetzt. Australian Open, das US Open, viele andere Siege und Finals waren die Höhepunkte eines grossen Jahres. Aber auch in den Tagen von Singapur zeigte Kerber wieder genau jene Konstanz, die im Rückblick auf die vergangenen Monate besonders erstaunt. Ein Jahr mit Grand-Slam-Titel, vor allem dem ersten, ist für alle Tennisprofis etwas Besonderes. Doch Kerber erreichte fünf der sechs wichtigsten Endspiele der Saison, gewann bei den Australian Open und den US Open. Selbst in einer Ära der Rekorde, in der die Erfolge im Tennis nur unter wenigen Spielern und Spielerinnen aufgeteilt werden, ist eine solche Beständigkeit bemerkenswert.
Gerade nach den ersten grossen Siegen wurde Kerber immer wieder auf Steffi Graf angesprochen. Kaum eine Pressekonferenz oder ein Interview vergingen ohne Fragen nach der 22-fachen Grand-Slam-Siegerin. Vergleiche mit den Erfolgen von Graf liegen in der Natur der Sache, zudem sich Kerbers Hauptrivalin Serena Williams anschickt, die Rekorde zu übertrumpfen. Doch Kerber ist in diesem Jahr nicht nur aus dem Schatten von Graf getreten, sie hat mit ihren Erfolgen der vergangenen neun Monate ein eigenes, kleines Kapitel der Tennisgeschichte aufgeschlagen.
Kerbers Aufstieg in diesem Jahr war keine spielerische Revolution. Sie hat nicht die eine grosse Änderung vorgenommen. Vielmehr haben verschiedene Bausteine zu einer Evolution der schon immer starken Defensivspielerin geführt. Nach wie vor absorbiert Kerber das Tempo ihrer Gegnerinnen so gut wie keine Zweite. Kaum einen Ball, den sie nicht noch über das Netz hebt. Auch die Fähigkeit, ihre Gegnerinnen mit andauernden Richtungswechseln, dem Einsatz von Winkeln, über den Platz zu manövrieren, ist noch präziser geworden. Kerber hat sich zudem beim Aufschlag stabilisiert. Die Deutsche wird wohl nie mit Serena Williams mithalten können. Doch bringt sie ihren so wichtigen ersten Aufschlag meist sicher unter, gibt auch hier nur wenige Chancen zum schnellen Gegenangriff. Kerbers Vorhand landet mittlerweile fast immer tief und sicher im Platz der Gegnerin. Es sind solche kleinen Verbesserungen, die Kerber an die Spitze geführt haben. Dort finden sich meist die besten Angriffsspielerinnen, jene, die einen Ballwechsel aus dem Nichts beenden können. Kerber verkörpert hingegen den Houdini, kann sich mit ihren zahlreichen Tricks und Fähigkeiten fast immer aus Gefahrensituationen befreien. Um sie in einem wichtigen Match zu besiegen, braucht es schon eine solche Ausnahmeleistung wie Cibulkova sie bot.
Denn bevor Kerber überraschend in Australien siegte, musste sie im ersten Spiel einen Matchball gegen die Japanerin Misaki Doi abwehren. (Anmerkung: Erinnern wir uns an Stan Wawrinka im US-Open. Auch er wehrte als späterer Sieger in der ersten Runde einen Matchball ab.) Danach gab Kerber im Laufe des Turniers nur noch einen Satz ab. Niemand weiss, ob sie sich auch bei einer Erstrunden-Niederlage in Melbourne auf einen ähnlichen Erfolgsweg begeben hätte. Gerade weil Kerber sich ihr Selbstvertrauen im Laufe der Jahre so hart erarbeiten musste. Erst in diesem Jahr ist die Perfektionistin, die in der Vergangenheit oft am eigenen Frust scheiterte, bei sich angekommen.
Mit ihrer starken Vorstellung bei den WTA-Finals begeistert Angelique Kerber nicht nur die Zuschauer im Singapore Indoor Stadium. Auch die Tennis-Legenden, die beim Turnier der Besten den Glamour-Faktor erhöhen sollen, schwärmen von ihrem Spiel. «Ich bin jetzt ein Kerber-Fan. Sie spielt tolles Tennis und hebt trotz ihrer Erfolge nicht ab», sagte Chris Evert, die 18 Grand-Slam-Titel holte und 260 Wochen die Nummer 1 war. Auch Monica Seles (neun Grand-Slam-Titel, 178 Wochen Nummer 1) ist überzeugt: «Angie wird noch viele grosse Turniere gewinnen.»
Auch der Porsche-Vorstandsvorsitzender Oliver Blume hat Angelique Kerber bereits unmittelbar nach dem Finale in New York zu ihrem Triumph gratuliert. «Mit dem Sprung an die Spitze der Weltrangliste und dem Gewinn der US Open hat sie Sportgeschichte geschrieben», sagte er. «Sie ist eine grossartige Sportlerin und ein Vorbild, an dem sich junge Menschen orientieren können. Wir sind stolz auf unsere Markenbotschafterin.»
Persönliche Daten
Name: Angelique Kerber
Spielt Tennis seit: dem dritten Lebensjahr
Beruf: Tennisprofi-Spielerin
Profi seit: 2003
Geburtsland: Deutschland
Alter: 28
Geburtsdatum: 18. Januar 1988
Sternzeichen: Steinbock
Augenfarbe: Braun
Geburtsort: Bremen
Grösse: 1,73 m
Gewicht: 68 kg
Besonderes: spielt mit der linken Hand, obwohl sie Rechtshänderin ist
Wichtige Titel:
Kopenhagen 2012
Paris 2012
Linz 2013
Birmingham 2015
Stanford 2015
Charleston 2015
Australien Open 2016
US Open 2016
Finale: Brisbane 2016
Wimbledon 2016
Rio de Janeiro 2016
Cincinnati 2016
Singapur 2016