Die deutsche Regisseurin Maren Ade hat mit ihrem dritten Film «Toni Erdmann» in Cannes triumphiert. Ein Gespräch über Espadrilles auf dem roten Teppich, Haie im Kino und die Kunst des Gelächters.
Von Maren Ades Vater-Tochter-Drama «Toni Erdmann» waren die Journalisten derart begeistert, dass es während der Pressevorführung zu Gelächter und Szenenapplaus kam. Eine Woche lang durfte sich die deutsche Regisseurin («Alle anderen») in der schönen Sicherheit wiegen, dass ihr Film mit klarem Vorsprung das Rennen um die Goldene Palme anführt. Seit Wim Wenders‘ «Paris, Texas» vor mehr als 30 Jahren ist das keinem deutschen Film in Cannes gelungen. Doch kurz vor der Preisverleihung tauchte mit Cristian Mungius «Bacalaureat» noch ein ernsthafter Konkurrent auf, aber «Toni Erdmann» hatte bereits Geschichte geschrieben: als der deutsche Film, der das wichtigste Filmfestival der Welt zum Schwärmen gebracht hatte. «trends & style» hat Maren Ade bei Schokocroissants im lauschigen Garten des Hotel de Provence getroffen.
«trends & style»: Erster Film in Sundance, zweiter auf der Berlinale, dritter in Cannes. Klingt nach einem natürlichen Werdegang.
Maren Ade: Na ja, wenn man sich am Ende eines Nachtdrehs jenseits von Mitternacht nach Hause schleicht und im Bett grübelt: «O Gott, war das wirklich gut, was ich heute gemacht habe!?» – da zweifelt man schon manchmal, ob man je bei der Berlinale oder in Cannes laufen wird.
Cannes ist die noch grössere Fantasie, oder?
Das hat schon was, wenn da 3000 im Anzug und Abendkleid deinen Film gucken. Der Gedanke daran hilft manchmal, wenn du im verschwitzten T-Shirt auf dem Set stehst. Es ist ein riesiger Kontrast zum Filmemachen selbst.
Ja, Cannes ist da eigen. Schreibt zum Beispiel allen Frauen auf dem roten Teppich hochhackige Schuhe vor.
Ich hatte Lust darauf. Ich trug einen Anzug, dazu kann man auch hohe Schuhe anziehen, dachte ich. Ich war lustigerweise voriges Jahr als Gast in dieser Premiere von «Carol», die wegen der Schuhproteste so umstritten war. Damals war ich schwanger, und ich hab es wirklich geschafft, mit blauen Espadrilles hineinzukommen, wenn auch erst nach zwei, drei Gesprächen auf dem Teppich. Auf der Damentoilette waren gerade drei Frauen dabei, ihre Schuhe zu wechseln, von High Heels gewissermassen in Schlappen, damit sie es wenigstens im Kino bequem hatten. Die sahen meine Espadrilles und machten grosse Augen: «Damit sind Sie reingekommen?!» Ich sagte «Yes» – und die drei begannen spontan zu klatschen.
Eines der grossen Mysterien von Cannes ist ja: Wie kommt man dorthin?
Mein Weltvertrieb hat den Film eingereicht. Ein, zwei Wochen vor der Verkündung des Programms bekamen wir positive Signale für «Un Certain Regard» …
Die zweitwichtigste Reihe in Cannes.
Und am Abend vor der Pressekonferenz warteten wir auf eine Nachricht von Frémaux. Meine Produzentin Janine Jackowski und ich sassen bis 22 Uhr da und beschlossen dann, ins Bett zu gehen. Eine Stunde später rief sie an und sagte, ich solle in meine Post gucken. Das war so eine nonchalante E-Mail: «Wir sind erfreut, Sie in den Wettbewerb zu nehmen.» Ich war allein zu Haus mit den beiden Kindern, die schliefen, und ich wusste gar nicht wohin mit meiner Freude.
Die Pressevorführung von «Toni Erdmann» mit ihren Ausbrüchen von Gelächter und Szenenapplaus gehört jetzt schon zur Cannes-Legende. Waren Sie drin?
Nein, erst am Tag darauf bei der offiziellen Premiere. Auch bei der Berlinale mit meinem vorherigen Film «Alle anderen» bin ich gewarnt worden: Gehe niemals in die Pressevorführung!
Da sind die Haie drin, die alles verreissen, ich weiss.
Ach nein, ich finde es einfach schrecklich, wenn Leute rein- oder rausgehen, ihr Handy aufleuchten lassen oder sich Notizen machen. Man ist als Regisseur so hellwach bei den kleinsten Dingen.
Aber Sie wussten, wann die Kritiker ihren Film sahen?
Ich lag daheim auf dem Bett und dachte, jetzt läuft der Film, jetzt läuft der Film. Wir haben dann etwas gegessen, dabei habe ich auf die Uhr gesehen und immer gerechnet: Jetzt kommt Tonis erster Auftritt! Jetzt kommt die Nacktparty! Es war sehr seltsam.
Hatten Sie Spione in der Vorführung?
Der Mann vom Weltvertrieb war drin, und ich kenne ein paar Journalisten. Die haben mir SMS geschickt.
Des Inhalts?
Dass inmitten von Szenen geklatscht wurde, zum Beispiel. Das hatte ich nicht erwartet.
Auch ich habe so etwas hier noch nicht erlebt.
Krass, auch bei der Premiere war es so. Na ja, irgendwie ist es auch ein wenig wie Boulevardtheater: Ding-Dong! Türe auf! Schon wieder kommt einer!
Wenn Sandra Hüller ihre Whitney Houston herausschmettert, fängt der ganze Saal an zu jubeln. Da muss einem als Regisseur doch das Herz übergehen, wenn man solch eine Reaktion zustande bringt!
Das kannst du leider sehr schwer vorausberechnen.
Billy Wilder und sein treuer Co-Autor I.A.L. Diamond sollen folgende Technik angewendet haben. Sie schrieben einen Gag – und die folgenden drei oder fünf Sekunden mussten ihre Darsteller etwas Unwichtiges sagen oder tun, denn das Publikum würde es sowieso nicht mitkriegen, weil es mit Lachen beschäftigt sei.
Clever! Mir ist bei der Premiere aufgefallen, dass ich diese Verzögerung nicht mit einberechnet habe, nicht beim Schnitt und nicht in der Lautstärke! Deshalb habe ich sofort angefangen, mir solche Stellen aufzuschreiben.
Einmal bekommt Toni seine glitschige Hand geschüttelt und dazu den Kommentar: «Sie benutzen wahrscheinlich Handcreme.»
Und dem folgt direkt ein Satz, den ich noch viel lustiger finde, der aber wohl zu leise ist.
«Das bin wahrscheinlich ich» …
Sie haben ihn gehört!
Ja. Und ich habe mir während der Vorführung überlegt, ob es so viele andere Filme mit einer grossen Vater-Tochter-Beziehung gibt.
Nicht viele. Die Tochter ist oft nur der «Sidekick». Ich habe zur Vorbereitung bewusst Filme angesehen, die ich als Teenager mochte, und einer davon war «Mein Vater, der Held», eine Verwechslungskomödie mit Gérard Depardieu in einem Ferienclub, wo die Tochter herumerzählt, ihr Vater sei ihr Freund. Der hat ein ähnliches Rollenspiel.
Kategorisieren Sie «Toni Erdmann» doch mal. Komödie, Vater-Tochter-Drama, Verwechslungsklamotte?
Bis zur Premiere hätte ich gesagt, ein Drama mit komödiantischen Elementen. Beim Schreiben habe ich an eine Komödie gedacht, beim Dreh hatte ich irgendwann das Gefühl, all das werde ganz traurig, denn Familie ist eben lebenslänglich.
Kann es sein, dass der Film anders wirkt, wenn man ihn allein sieht?
Durchaus. Er könnte einen auch ganz schön melancholisch machen.
Aber a priori ist es lustig, wenn jemand nackt an der Tür steht.
Es ist vor allem lustig, weil es der Verzweiflung entspringt. Damit es nicht quatschig wirkt, muss die Verzweiflung eine echte sein. Deshalb konzentriert man sich darauf, dass die Figur stimmig ist. Peter Simonischek konnte den Toni riesig spielen, hundertmal fetter, als er jetzt zu sehen ist. Ich habe ihm dann quasi verboten, den Charakter zu doll auszubauen. Da hat er manchmal schon gejammert.
Schade eigentlich …
Da wäre mir noch viel eingefallen, was Toni in der Business-Welt anstellen könnte.
Das sehen wir dann in «Toni Erdmann, die Serie».
Nee, nee, das wird es nicht geben!